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Die Island Line auf der Isle of Wight:
Unterhalb von England im Ärmelkanal liegt die „Isle of Wight“, gerade mal 10 Minuten mit der Hovercraft-Fähre von Portsmouth entfernt. Sie ist eine bedeutende Urlaubsdestination für Briten und hat einen Ruf als Sonneninsel. Mit einer Fläche von 381 Quadratkilometern (max. 35 km lang und 20 km breit) ist sie durchaus überschaubar, besaß aber einst ein normalspuriges Eisenbahnnetz von 89 Kilometern Länge.
Von diesem früher doch recht umfangreichen Netz sind nur noch 13,9 Kilometer der Strecke Ryde Molenkopf („Ryde Pier Head“) bis zum Küstenort Shanklin in Betrieb. Diese Strecke wird seit den späten 1990er Jahren als „Island Line“ vermarktet und stellt noch immer eine recht bedeutende Verbindung zwischen der Fähre vom Festland in die Küstenorte mit Badestränden dar. Dazu wird sie im Pendlerverkehr gut genutzt.
Zusätzlich wurde von der „Isle of Wight Steam Railway“ eine Strecke von 8,9 Kilometern wiedereröffnet. Diese steht heute im fast täglichen dampfbetriebenen Betrieb, ist als sehenswerte Museumsbahn aber nicht Gegenstand dieses Beitrags.
Zur Geschichte:
Die erste Strecke auf der Insel wurde im Jahr 1864 eröffnet – nämlich fast genau der noch heute betriebene Teil von Ryde (allerdings nicht vom Pier aus) bis nach Shanklin. Schnell folgten Erweiterungen. Vollständig fertig war das Inselnetz jedoch erst 1900 und wurde von diversen
Eisenbahngesellschaften betrieben. Der Abstieg begann schon in den 1950er Jahren, als gegen massive Proteste der Inselbevölkerung die meisten Strecken stillgelegt wurden (1956 bis 1966). Im Jahr 1967 erfolgte die Rettung des heute noch betriebenen Rests von „Ryde Pier Head“ bis „Shanklin“ durch Elektrifizierung.
Diese stellte die Planer aber vor große Herausforderungen: In Ryde gibt es einen sehr engen Tunnel und niedrige Brücken – resultierend aus dem Betrieb als Pferdebahn von 1871-1880. Aus Kostengründen kam eine Profilerweiterung nicht in Frage – im Gegenteil, dieser Abschnitt konnte nur nach intensiven Bemühungen überhaupt erhalten werden. Erschwerend kam die Enge der Kurve in der Station „Ryde Esplanade“ hinzu. Normales Rollmaterial für den elektrischen Betrieb war daher schlicht nicht nutzbar.
Die Lösung kam von London Transport, die auszumusterndes Rollmaterial für wenig mehr als den Schrottpreis anbot – und so kamen 43 Ex-Londoner U-Bahn-Züge des Baujahres 1923 auf die Insel. Die Strecke wurde mit einer offenliegenden und von oben bestrichenen Stromschiene elektrifiziert (anfangs mit 630 Volt Gleichstrom, mittlerweile 750 Volt) und die schmalen U-Bahn-Wagen erfüllten ab 1967 vollständig die Anforderungen. Sie wurden vorher umgebaut und für einen Regionalbetrieb als Baureihe 485 und 486 adaptiert. In Spitzenzeiten wurden bis zu 5 Zugpaare pro Stunde angeboten, für die teilweise 7-Wagen-Züge eingesetzt wurden.
Ab 1985 wurde die Strecke dann als „Ryde Rail“ (nach der Stadt Ryde im Norden) benannt und zwei neue Stationen wurden eröffnet („Lake“ im Jahr 1987 und „Smallbrook Junktion“ in 1991 – letztere stellt eine Verbindung zur Dampfeisenbahn „Isle of Wight Steam Railway“ dar). 1988 erfolgte jedoch ein teilweiser Rückbau der Strecke von zwei- auf eingleisigen Betrieb, was heute nur einen unregelmäßigen Takt von 20 / 40 Minuten statt einem durchgehenden Halbstundentakt ermöglicht. Seit 1989 und bis heute wird die Strecke als „Island Line“ vermarktet. In diesem Jahr erfolgte auch die Lieferung neuer Fahrzeuge – wieder gebrauchte Londoner U-Bahn-Wagen als Baureihe 483, nun allerdings mit dem Baujahr 1938. Aufgrund des deutlich zurückgegangenen Verkehrsaufkommens wurden aber nur 9 Zweiwagenzüge aufgearbeitet und in Betrieb genommen. Davon stehen im Jahr 2013 noch 6 Züge im Betrieb auf der teilweise unverändert mit Formsignalen gesicherten Strecke.
Seitdem ist außer zwei Betreiberwechseln nicht mehr viel passiert. Pläne gab es allerdings einige: Umstellung auf einen Express-Bus-Verkehr, Wiederinbetriebnahme des stillgelegten Streckenteils bis Ventnor nach Süden, Erweiterung der Strecke mit einem Tunnel zum Festland nach Norden, Anschaffung „neuer“ U-Bahn-Wagen aus den Jahren 1967 und 1972, Umstellung auf Stadtbahnbetrieb und Führung in die Innenstadt von Shanklin sowie einiges mehr. Nichts davon wurde bislang realisiert. Nachdem aber die Lebensdauer des Rollmaterials inzwischen weit überschritten ist und sich der Zustand der Strecke einem eher bedenklichen Zustand nähert, kann von einer sicheren Zukunft leider nicht gesprochen werden.
Reisebericht:
Wir erreichen die Isle of Wight von London (Waterloo Station) aus via Portsmouth: 2:36 h Fahrtzeit bis zum Hafen und direkter Umstieg in den Schnellkatamaran „Red Jet“, der uns in nur 18 Minuten auf die Insel bringt
Die Fähre legt am äußersten Ende des fast 700 Meter langen Piers der Stadt Ryde. Mit nur wenigen Metern Fußweg durch die nett hergerichtete Wartehalle ist ein direkter Umstieg in die Island Line möglich. Am Bahnsteig lohnt sich ein Blick auf die Gleise – durch die filigrane Unterkonstruktion ist das Meer direkt sichtbar. Bedenkt man, dass die Fahrzeuge der Eisenbahn ihre elektrischen Einrichtungen unterflur haben, weiß man, warum bei besonders stürmischem Wetter mit hohem Wellengang der Bahnbetrieb auf dem Pier eingestellt werden muß. Das ist glücklicherweise aber selten der Fall.
Im zweigleisigen Pier-Bahnhof wird normalerweise stets das rechte Gleis 1 benutzt – und hier steht auch bereits unser Zug. Ein typischer alter Londoner U-Bahn-Wagen mit weit in das Dach hineingezogenen Schiebetüren, sogar lackiert in der alten braun-roten Londoner Farbgebung mit gelber Front. Niedrig ist er – wer mehr als 1,70 Meter Größe hat, wird unwillkürlich den Kopf beim Einsteigen einziehen. Drinnen erwarten uns weich gepolsterte Sitze in unterschiedlicher Anordnung längs und quer zur Fahrtrichtung. Sitzt man erstmal, hat man einen recht großzügigen Raumeindruck – stehend kann es doch recht beengend sein. An der Dachfläche zieht sich eine lieb gemalte Darstellung des Streckenverlaufs entlang, die jede Station mit ihren kleinen Highlights nennt. Diese bildhaften Darstellungen sind sehr typisch für die britische Eisenbahn; so gibt es z.B. von SouthWestTrains als seinerzeitigen Betreiber eine wirklich nette Gesamtansicht der Insel incl. der privat betriebenen Dampfeisenbahn.
Die Wagen der Island Line stammen aus dem Jahr 1938 und sind nur geringfügig modifiziert worden. Sie verfügen daher auch über keine modernen Sicherheitskomponenten, was pro Wagen einen Schaffner erfordert. Da die kleinste Einheit die Doppeltraktion ist, werden dafür drei Mann Personal benötigt. Das steht nicht immer zur Verfügung und so wird in der Schwachlastzeit oft einer der jeweils 40-sitzigen Wagen versperrt, um mit nur einem Schaffner auszukommen. Der geneigte Eisenbahnfreund wird übrigens den hinteren Wagen bevorzugen, denn dort bedient der Schaffner die Türen, macht Ansagen usw.
Damit ist es soweit: Der Schaffner schließt die Türen, die langsam zugehen, und gibt schließlich den Abfahrtsauftrag an den Fahrer – alles über eine offene Schalttafel an der führerstandslosen Stirnseite seines Wagens. Nach nur knapp anderthalb Minuten Fahrtzeit sind die 644 Meter Strecke auf dem Pier zurückgelegt und „Ryde Esplanade“ erreicht. Dies ist die eigentliche Hauptstation der Linie mit direktem Umstieg in die inselweit verkehrenden meist doppelstöckigen Linienbusse sowie den Hovercraft nach Portsmouth Strand. Die Station selbst liegt in einer recht engen Linkskurve an einem größeren Bahnhofsgebäude mit Fahrkartenschalter und Touristeninformation.
Direkt ab Verlassen der Station geht die Strecke ins Gefälle über und es wird auf das in Fahrtrichtung linke Gleis gewechselt. Kurz danach wird der aus zwei Röhren bestehende Tunnel erreicht und ein Teil der Bebauung von Ryde (ca. 20.000 Einwohner), quasi in ihrer alten Bestimmung als U-Bahn, unterquert. Nach 358 Metern hat uns das Tageslicht wieder und wir fahren hauptsächlich zwischen Gewerbebetrieben und etwas Grünland durch den Ostteil der Stadt.
Nach rund 5 Minuten Fahrzeit unterqueren wir die St. John Street und erreichen den gleichnamigen Bahnhof in Ryde. Dies ist auch der betriebliche Mittelpunkt der Linie, denn neben dem zweigleisigen Personenbahnhof mit der ziemlich rostigen Eisenbrücke befinden sich hier die Werkstatt und die offenen Abstellgleise der nicht benötigten Garnituren.
Nach der Abfahrt wähnt man sich bereits weit draußen auf dem Land – die Fahrt verläuft sofort durch´s Grüne! Die Strecke ist bis kurz vor der nächsten Station „Smallbrook Junktion“ zweigleisig und hier findet jede zweite Zugkreuzung statt. Die nach nur zwei Minuten erreichte Station wird jedoch nicht immer eingehalten, sondern ausschließlich bei Verkehr der „Isle of Wight Stream Railway“, zu der ein direkter Fußgängerübergang besteht. Gleismäßig sind die Strecken jedoch nicht miteinander verbunden!
Wo sich die Dampfeisenbahn dann nach Osten wendet, verläuft unsere Island Line weiterhin in südlicher Richtung. Durch Wald und Wiesen verläuft die Fahrt, bei der man in den Genuß eines Fahrgefühls längst vergangener Zeiten kommt: Der Zug schlingert bei seiner zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 45 Meilen pro Stunde (ca. 72 km/h) so stark, dass man stets befürchtet, er springt gleich aus den Schienen. Dazu die Schläge der geschraubten Schienenverbindungen – wären die Sitze nicht so außerordentlich weich gepolstert, müsste die niedrige Decke des Zuges voll von Dellen sein. Die Schaffner – bei denen übrigens Fahrscheine ohne Aufpreis erhältlich sind – tanzen geradezu durch den Waggon bei ihrer ambulanten Fahrscheinkontrolle. Dabei ist immer Gelegenheit für eine kleine Plauderei, soviel Zeit muß sein! Dazu das Heulen der altersschwachen Motoren – man mag nicht glauben, dass man sich in einem regulären Verkehrsmittel des Jahres 2013 befindet.
Fünf Minuten später ist „Brading“ erreicht. Dieser Bahnhof war bis Ende der 1980er Jahre zweigleisig und früher sogar Verzweigungsbahnhof für die Güterstrecke zum Hafen von Bembridge bzw. St. Helen. Noch immer ist ein Teil der alten ausgedehnten Bahnhofsanlagen erhalten, incl. des „Signalbox“ genannten Stellwerks. Leider ist nur noch der Hausbahnsteig auf Gleis 1 gleismäßig angebunden, was den durchgehenden 30-Minuten-Takt unmöglich macht. Der Bahnhof selbst vermittelt die wunderbare morbide Stimmung dieser Linie wie kaum ein anderer – man beachte nur die verschnörkelten Buchstaben IWR (Isle of Wight Railway) in den eisernen Bahnsteigdachträgern.
Weiter geht es und zunächst verläuft die in 4 Minuten zurückgelegte Strecke durch freies Land, doch dann wird es städtischer – wo Brading Station noch ein Stück außerhalb des Ortes lag, durchfahren wir nun Sandown (5.000 Einwohner), bereits ein Seebad. Der Bahnhof ist wieder zweigleisig und auch hier findet jede zweite Zugkreuzung statt. Die ehemals recht umfangreichen Gleisanlagen mit Abzweigung der 1956 aufgelassenen Strecke nach Newport sind inzwischen fast komplett zurückgebaut.
Eingleisig geht es vorbei an einem Park und bereits mit teilweiser Sicht auf das Meer (linker Hand) weiter auf einem Damm durch die jetzt fast durchgehende Bebauung mit einer Fahrzeit von nur drei Minuten. Erst im Jahr 1987 wurde der aus einer hölzernen Plattform bestehende Haltepunkt „Lake“ errichtet und seitdem einmal komplett neu gebaut. Der Halt direkt im Grünen oberhalb des Ortes wirkt geradezu idyllisch – angesichts der doch recht dicht bebauten Agglomeration sollte man sich davon nicht täuschen lassen.
Fast haben wir nun unser Ziel erreicht: Weitere 3 Minuten geht die Fahrt und direkt nach Lake lohnt sich der Blick aus dem linken Fenster: Jetzt sind schon die Klippen und das Meer zu sehen, bevor wir die Hauptstraße unterqueren und auf einem Grünstreifen unser Ziel „Shanklin“ (ca. 20.000 Einwohner) erreichen. Dieses beliebte Seebad am Ärmelkanal mit seinen langen Sandstränden hat eine entzückende Altstadt („Shanklin Old Village“) und als Naturattraktion die „Shanklin Chine“, eine Art Schlucht durch die Kreidefelsen zum Meer hin.
Hier endet nun unsere Fahrt, abrupt begrenzt durch einen Prellbock direkt am Widerlager einer ehemaligen Brücke. Die eingleisige Station hat sogar einen halbtags besetzten Fahrkartenschalter (trotz Ticketverkaufs im Zug) und davor warten Taxis auf die ankommenden Fahrgäste.
Bevor wir den Bahnsteig verlassen und uns durch das schöne alte Aufnahmegebäude uns auf den ca. zehnminütigen Weg in die Innen- und Altstadt oder zum Strand machen, werfen wir noch einen Blick in den Fahrerstand unserer U-Bahn. Es ist ganz klar die Technik des Jahres 1938: Ein mit der rechten Hand bedienter Nockenfahrschalter und die mit der linken Hand bediente Druckluftbremse. Die Bedienung erfolgt mehr im Stehen als im Sitzen, wobei eine Art gepolsterte Stehhilfe für den Fahrer eingebaut wurde.
Ein letzter Blick zurück auf den Zug und es bleibt die Hoffnung, auch künftig auf dieser liebenswerten Strecke in die Sommerfrische fahren zu können.
(besucht im Juni 2013 mit den alten Fahrzeugen aus 1938, die zu dieser Zeit noch im täglichen Betrieb standen. Das hat sich im Jahr 2021 geändert.)